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Verlöbnis

Unendliche, laß dich unsterblich ermessen
und es sei mir dein Fühlen bewußt.
Meines entschwand mir zu höllischer Lust.
Denn der Gedanke bricht ins Vergessen.

Wie dein Gefühl auf steilenden Stufen
immer verweilend den Himmel erzielt —
wissend, hab’ ich es nachgefühlt,
und ich will es ins Ohr dir rufen!

Laß es mich denken, wie einer ermattet
an deiner Kraft, in dein schwellendes All
begehrte der irdische Einzelfall,
der das ewige Licht beschattet.

Und die zufriedene Gier läßt die Lüge
dort zurück, wo die Lust verthan.
Und er sah dein Gesicht nicht an,
als sich dir heimlich verklärten die Züge.

Ach, den Verlust am liebenden Leben
hast du ihm, sehnende Nymphe, vertraut.
Aber die Stunde hört nicht den Laut,
wenn vom Leid die Äonen beben.

Und seine Armut flieht von dem Feste,
daß sie nicht an der Fülle vergeh’.
Weibsein beruht in Wonne und Weh.
Mann zu sein rettet er seine Reste.

Fällt auch die heilige Welt zusammen
in dem unseligen Unterschied —
ich setze fort dein verlassenes Lied!
Ich will entstehen aus deinen Flammen!

Was immer dir fehle, von dir empfangend,
schöpfend aus deinem lebendigen Quell,
so wird dem Teufel der Himmel hell,
immer doch deine Lust verlangend!

Muß sich der Geist in dir versenken,
reißt ihn aus der Höh’ keine irdische Macht.
Verbuhlen wir so diese Lebensnacht!
Unsterblich küssen, unendlich denken!

Karl Kraus (1874 – 1936)